Ich mache meine Arbeit als Stillberaterin mit ganzem Herzen, aber manchmal ist es für mich schwer mit anzusehen, wie wenig Bedeutung der Verbindung zwischen Mutter und Baby beigemessen wird. Alle reden über das Stillen, aber wenn es schwierig wird, bleibt die Unterstützung schnell aus. Die Mütter, die ich berate, sind oft hin- und hergerissen zwischen ihren eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen und den Erwartungen ihrer Umgebung. Das Stillen ist aber keine "Insel". Ohne den Rückhalt durch Familie, Freunde und das Gesundheitssystem funktioniert es nicht.
Der folgende, leicht ironische Text ist aus dem Frust über die derzeitige Situation entstanden. Kurz gesagt, Vielfalt und Entscheidungsfreiheit sind wichtig, aber Beliebigkeit ist für mich nicht die Lösung.
"Als ich neulich meinen neugeborenen Neffen besuchte, lag in der Küche eine Zeitschrift, die in einem Artikel für „buntes Stillen“ warb. Dort stand, es sei wichtig, alle Bedürfnisse mit einzubeziehen. Also die der Mutter und des Kindes und nicht zuletzt des Vaters, der ja auch nicht nur nebendran stehen möchte.
Vor allem sei es wichtig, als Mutter genug Schlaf zu bekommen. Und generell für sich zu sorgen, indem man auch mal etwas anderes macht, als nur mit dem Baby zusammen zu sein. Man solle sich daher regelmäßig mit seinen Freundinnen treffen und währenddessen kümmert sich der Vater liebevoll um das Baby. So kommen alle zu ihrem Recht, alles ist gerecht aufgeteilt: Die Mutter muss nicht immer stillen, der Vater muss nicht immer arbeiten und das Baby muss nicht immer die Brust in den Mund nehmen. Wahrscheinlich freut es sich, ab und zu an etwas anderem zu saugen, der Mensch liebt ja die Abwechslung. Vielleicht gefällt es ihm ja auch, andere Geschmacksrichtungen probieren zu dürfen.
Was soll man dazu sagen? Wenn die Eltern ihr Baby liebhaben und es groß wird, ist dann nicht alles in Ordnung? Wozu die Mühe, wenn das Stillen nicht klappt? Wozu die Schmerzen, der Aufwand, die Kosten? Das schlechte Gewissen (das eigentlich sowieso kommt, egal, wie man sich entscheidet)?
Schade, dass man die Babys nicht nach ihrer Meinung fragen kann."
1.3.2022